Umgang mit Asbest in der Praxis

Schritt 2:
Die Bewertung nach Asbestrichtlinie

(Nur Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber)

Die Bewertung (bzw. Neubewertung) sowie die Einstufung in sogenannte Dringlichkeitsstufen (der Sanierung) von Asbestprodukten erfolgt nach den Vorgaben der Asbestrichtlinie und kann bzw. muss in einem Asbestkataster dokumentiert werden.

Ein Asbestkataster ist eine Art Katalog aller in den Gebäuden bzw. an Arbeitsstätten vorhandenen Asbestprodukte mit Angaben zur

  • genauen Lage,
  • Art der Produkte,
  • Zustand der Produkte,
  • Faserfreisetzungspotential, S
  • anierungdringlichkeit und
  • ggf. erforderlicher Neubewertung oder
  • Notwendigkeit des Abbruchs.

Die Asbestrichtlinie schreibt nicht nur vor, dass eine Bewertung der Gebäude durchgeführt werden muss, sondern auch, in welchen Zeitintervallen das geschehen  muss.

Einerseits ist es wichtig, zu wissen, ob und wenn ja, wo genau Asbest eingebaut wurde. Und handelt es sich dabei um sogenanntes “locker gebundenes” oder “fest gebundenes” Asbest? Während das fest gebundene Asbest (z.B. in Asbestzement) kaum freigesetzt wird, außer man macht sich massiv mechanisch daran zu schaffen, kann das locker gebundene leichter freigesetzt werden und unterliegt deshalb strengeren Auflagen.

Dabei sind die beiden Begriffe genau definiert:

  • Fest gebunden ➔ Dichte > 1,4 t / m3
  • Locker gebunden ➔ Dichte < 1,0 t / m3

Alles dazwischen muss gutachterlich bewertet und einer der beiden oben genannten Gruppen zugeordnet werden.

Das ist durchaus nicht immer leicht, denn allein die Einordnung aufgrund der Dichte klappt nicht immer: Während fest gebundener Asbestzement tatsächlich sehr viele Fasern freisetzen kann, sobald er bricht oder bearbeitet wird, setzt z. B. asbesthaltige Bitumenpappe (die als locker gebunden gilt wegen ihrer geringen Dichte) garantiert keine Fasern frei. Bitumen ist ein derart guter und zäher Klebstoff…

Es kommt also neben der Einordnung als locker oder fest gebundenes Asbest auch auf das sogenannte Faserfreisetzungspotential an, das von jedem Spezialist mit berücksichtigt werden muss. Auch dafür gibt es Tabellen und Regeln.


Die Bewertung

Die Bewertung der Sanierungsdringlichkeit folgt entprechend Asbestrichtlinie einem fest vorgegebenen Schema. Dies erleichtert einerseits die Bewertung, erschwert individuelle Interpretationen und macht dadurch Ergebnisse vergleichbar.

Bewertungstabelle nach Asbest-Richtlinie

Obwohl die sachkundige Bewertung nur von sachkundigen und erfahrenen Personen durchgeführt werden sollte – und nur dann wäre sie auch verbindlich und belastbar – kann sie durchaus von jedem angewendet werden, um einen Eindruck zu bekommen, wie sie funktioniert und um die Situation zumindest einzuschätzen.

Es spricht also überhaupt nichts dagegen, dass Sie selbst einmal anhand dieser Tabelle Ihren Arbeitsplatz “bewerten”. Klicken Sie hier und füllen Sie die Bewertungstabelle online aus.

Die Berechnung erfolgt automatisch. Die Tabelle ist weitestgehend selbsterklärend. Die Zellen, welche mit einem roten Dreieck in der Ecke markiert sind enthalten weitere Informationen als Ausfüllhilfe.

Hinweise zum Ausfüllen:

Die Tabelle ist in 7 Gruppen gegliedert, welche Art und Verwendung des Asbestproduktes charakterisieren. Natürlich müssen Sie im Vorfeld wissen, welches Produkt Sie überhaupt bewerten wollen. Dazu sollten Sie einen Spezialisten hinzuziehen.

Pro Gruppe wird jeweils nur die höchste Punktzahl gewertet, auch wenn Sie ggf. mehrere Felder ankreuzen (können). Am Ende entscheidet die Gesamtpunktzahl aller Gruppen, in welche Dringlichkeitsstufe das Produkt eingeordnet wird.


Die 3 Dringlichkeitsstufen

Die Bewertung ergibt im Ergebnis drei sogenannte Dringlichkeitsstufen für die Sanierung:

Dringlichkeitsstufe I
Sanierung unverzüglich erforderlich

Dringlichkeitsstufe II
Neubewertung mittelfristig erforderlich. Verwendungen mit dieser Bewertung sind in Abständen von höchstens zwei Jahren erneut zu bewerten.

Dringlichkeitsstufe III
Neubewertung langfristig erforderlich. Verwendungen mit dieser Bewertung sind in Abständen von höchstens fünf Jahren erneut zu bewerten.

Der Begriff “unverzüglich” wird allerdings in der Asbest-Richtlinie recht dehnbar ausgelegt:

Verwendungen mit dieser Bewertung sind zur Gefahrenabwehr unverzüglich … zu sanieren. Falls die endgültige Sanierung … nicht sofort möglich ist, müssen unverzüglich vorläufige Maßnahmen … zur Minderung der Asbestfaserkonzentration im Raum ergriffen werden, wenn er weiter genutzt werden soll. Mit der endgültigen Sanierung … muß jedoch nach spätestens drei Jahren begonnen werden.


Konsequenzen der Einstufung

Gut, die Einstufung in die Dringlichkeitsstufen II und III sind recht klar und verschaffen dem Gebäudebetreiber oder -Besitzer etwas Zeit. Man muss lediglich nach 2 oder nach 5 Jahren wieder hinsehen, ob sich die Situation verändert hat. Ansonsten hat dies erstmal keine weiteren Konsequenzen. Wichtig ist jedoch dabei:

  • Die asbesthaltigen Bauteile wurden begutachtet und bewertet. Also liegt im Zweifel die Verantwortung für die Bewertung beim Gutachter.
  • Die asbesthaltigen Bauteile müssen unter Beobachtung bleiben. Sehr weitmaschig zwar, aber immerhin.

Anders ist es bei Dringlichkeisstufe I: Die unmittelbare Sanierung wird gefordert. Nun wird aber auch hier dem Betreiber auch ein gewisser Spielraum gewährt, nämlich: Er kann sich bis zu 3 Jahre Zeit lassen, die Sanierung in Angriff zu nehmen.

Das bedeutet aber nicht, dass sich der Betreiber / die Betreiberin bzw. Eigentümer / die Eigentümerin zurücklehnen kann.

  • Die in Dringlichkeitsstufe I eingestuften Bauteile müssen innerhalb von 3 Jahren saniert bzw. ggf abgebrochen werden.
  • Eine Neubwewertung nach 3 Jahren ist ausgeschlossen.
  • Die Bauteile müssen sofort vorläufig gesichert werden durch vorläufige Maßnahmen, also sozusagen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen muss durch Messungen nachgewiesen werden und die Überwachung durch Kontrolle und Wiederholungsmessungen ist in Intervallen von max. 6 Monaten recht engmaschig und somit aufwändig und kostenintensiv.
  • Die Maßnahmen, die Überwachung, die Ergebnisse usw. müssen allesamt bei der Behörde angezeigt werden.

Also: Lieber gleich sanieren und die großzügige Regelung der Asbestrichtlinie nicht bis zuletzt ausreizen!


Nutzungsdauer

Die REACH Verordnung bringt den Begriff der Nutzungsdauer ins Spiel:

Leider macht sie keine weitere Angabe darüber, was genau die Nutzungsdauer ist, bzw. wie lange sie dauert. Streng genommen endet die Nutzungsdauer mit dem Ende der Nutzung – somit ist die genaue Nutzungsdauer erst nach dem Ende des Nutzungsvorganges bekannt! Alles andere ist eine geschätzte Nutzungsdauer – und die ist (leider oft) sehr flexibel auslegbar.

Zerbrochene Asbestzementplatten: Nutzungsdauer abgelaufen © Heiko Hofmann

Für etwas mehr Klarheit zum Bergriff der Nutzungsdauer sorgt die LASI Vorschrift. Es wird zwar nicht definiert, WAS die Nutzungsdauer ist, aber zumindest, WANN sie endet. Und zwar:

  • Wenn das asbesthaltige Produkt entgegen seinem bei Einbau usprünglich vorgesehenen Zweck verwendet wird. Also: Zweckentfremdet. Dies bedarf natürlich einer wesentlichen Veränderung – und die ist NICHT erlaubt! Somit erlischt die Nutzungsdauer.
  • Wenn das asbesthaltige Produkt derartig beschädigt ist, u.a. auch durch Verschleiß, dass die Gefahr einer Faserfreisetzung besteht. Auch dann ist die Nutzungsdauer zuende.
  • Wenn das Produkt so stark beschädigt ist, dass es seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen kann, ist die Nutzungsdauer zuende.

In der Abbildung rechts sieht man Unterlagen für Kabelpritschen aus Asbestzement. Sie sind einerseits kaputt und andererseits wird kein Asbestzement als Unterlage für Kabel benötigt: Nutzungsdauer definitiv abgelaufen – Abbruch und Entsorgung!

Wird das Ende der Nutzungsdauer festgestellt, ist die Einstufung nach Asbestrichtlinie automatisch Dringlichkeitsstufe I.