Was genau macht Asbest so gefährlich?
Die Einzelfasern oder Nadeln der Asbestminerale haben in Längsrichtung keine starke Bindung. Sie spleißen bei meachnischer Beanspruchung immer weiter auf, bis schließlich einzelne Kristalle übrig bleiben. Diese Fasern sind dann so fein, dass sie aufgrund ihrer Größe (tausendmal feiner als Haare) beim Einatmen bis in die Lungenbläschen (= Alveolen) vordringen können, d.h. sie gelangen in die feinsten Verzweigungen der Lunge, also dorthin, wo Sauerstoffmoleküle aus der Luft ins Blut gelangen. Dort angekommen, können sie ins empfindliche Gewebe eindringen oder von der körpereigenen Abwehr dorthin transportiert werden. Wegen ihrer chemischen Stabilität (Kristallstruktur) bleiben sie weitgehend stabil und werden kaum aufgelöst und nur sehr schwer wieder aus dem Körper transportiert.
Die Betonung liegt jedoch auf können. Das heißt nicht, dass sie auch dorthin gelangen und dort bleiben. Dazu weiter unten mehr.
WHO-Fasern
Als besonders kritisch gelten Fasern, die einen Durchmesser (d) von < 3 µ haben, eine Länge (l) von mindestens 5 µ und ein Verhältnis von Länge zu Durchmesser (l : d) von mindestens 3 : 1 haben. 1 µ = 1 tausendstel Millimeter. Fasern mit diesen Spezifikationen gelten als “alveolengängig” (Alveolen = Lungenbläschen). Diese Definition der sogenannten WHO-Fasern wird auch zur Interpretation der Analyseergebnisse mit dem REM herangezogen.
d < 3 µ
l >= 5 µ
l : d > 3 : 1
Vorsicht! Viele Gutachter und Analyselabore verwenden den Begriff der WHO-Faser ausschließlich für kreberzeugende KMF (Künstliche MineralFasern) wegen einer mißverständlichen Formulierung in der TRGS 905.
Richtig ist hingegen: WHO-Faser bezieht sich auf die reine Fasergeometrie und unterscheidet NICHT zwischen Asbestfasern und KMF (krebserzeugende und nicht krebserzeugende).
Im Titelbild ist eine eingekapselte Asbestfaser erkennbar, die von Krebszellen umgeben ist.
Definition ist nicht unproblematisch
Laut Definition gelten Fasern ab einer Länge von 5µm als besonders kritisch, wenn sie gleichzeitig dünner als 3 µm sind. Nun ist übertrieben gesagt auch ein Meter länger als 5 Mikrometer. Tatsächlich erreicht bereits Fasern mit einer Länge vom mehr als 10 µm die tiefen Lungenregionen nicht mehr.
Nur Fasern mit > 1 µm und < 10 µm erreicht die Alveolen und können dort deponiert werden. Alles was größer als 10µm ist, wird in den oberen Atemwegen abgeschieden und durch Flimmerhärchen aus der Lunge transportiert. Man nennt diesen Mechanismus medizinisch “Mukociliäre Clearance”.
Fasern, die kleiner sind als 5 µm werden von der körpereigenen Immunabwehr angegeriffen. Freßzellen (Makrophagen) fallen darüber her und kapseln die Fasern ein. Im Zellinneren der Makrophagen herrscht ein nierdiger pH-wert. In dieser sauren Umgebung können zumindest Chrysotilfasern langsam aufgelöst werden.
Nur, wenn das aufgrund der Menge, der Fasergeometrie oder der Asbestart nicht mehr gelingt, setzt eine Entzündungskaskade ein – Narbengewebe entsteht. Eine vernarbte Lunge kann ihre Aufgabe nicht mehr so einfach und vollständig erfüllen.

Chrysotil-Fasern im REM © USGS CC0
Krebs kann durch die Entzündungen, das Narbengwebe und durch Zerstörung der DNA entstehen.
Das funktioniert allerdings eher bei den anderen typischen Asbestmineralen: den → Amphibolen Krokydolith (“blauer Asbest”), Grunerit (“brauner Asbest”) und einigen anderen Mineralen aus der Amphibol-Familie (Tremolit, Aktinolith, Anthophyllit). → Chrysotil, gilt als “zu flexibel” und kann tatasächlich in saurer Umgebung aufgelöst werden. Einige “Experten” und viele Ländern, die vom Export profitieren, stufen Chrysotilasbest daher als “ungefährlich” ein.
Die → Amphibole rollen sich zwar nicht auf wie Chrysotil, sie bilden aber die oben beschriebenen SiO4 Bänderstrukturen und wachsen nadelig. Es sind keine feinen Härchen aber ultrafeine, störrische Nadeln. Sie sind nicht so flexibel und biegsam wie Chrysotilfasern, dafür sind sie steifer und brechen leichter.
Eins haben sie gemeinsam: Es sind Fasern, die so fein sind, dass die feinsten nur aus wenigen Atomlagen bestehen. Die Ringe der Chrysotil-Schnecken kann man leicht zählen – und jede Schicht ist nur wenige millionstel Millimeter dick.
Darüber hinaus hat Asbest keine sogenannte Wirkungsschwelle: Es gibt keine gesundheitlich unbedekliche oder ungefährliche Dosis. Streng genommen kann bereits eine einzelne Faser ins Lungengewebe eindringen und dort Krebs verursachen. Aus diesem Grund gibt es auch aus medizinischer Sicht keine Grenzwerte.
Über die Krankheiten weiter auf Seite 3
