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Faserjahre und Risiko

Wie fast immer beim Thema Asbest geht es auch in diesem Fall um den Arbeitsschutz – allerdings nicht nur um die eigentliche Prävention, sondern und insbesondere um die Entschädigungspflicht der Unfallkassen:

Wie an vielen anderen Stellen bereits beschrieben, kann man nicht vorhersagen, ob durch eine Asbestbelastung bzw. Faserexposition eine Krebserkrankung entsteht oder nicht. Man kann allenfalls eine Wahrscheinlichkeit vorhersagen, bzw. annehmen. Das bedeutet, es gibt auch keine Grenze, ab wievielen Fasern, die man eingeatmet hat, eine Erkrankung entsteht. Deshalb gibt es auch keine wirklichen Grenzwerte – nur Richtwerte für diese Wahrscheinlichkeit.

Anders sieht es bei den Schutzmaßnahmen aus: Da muss man genau sagen können, ab wievielen festgestellten Fasern man Schutzmaßnahmen vorschreibt und welche das sind. Da darf natürlich keine Abschätzung möglich sein – sonst würde das jeder für sich alleine entscheiden.

Um nun einerseits eine Beziehung zwischen einer absoluten Anzahl an Fasern, die man in einem bestimmten Zeitraum eingeatmet hat und einem daraus resultierenden Risiko einer Krebserkrankung herzustellen und andererseits, um Grenzwerte festlegen zu können, ab wann welche Maßnahmen zum Schutz vor Asbestexposition greifen, hat man die Begriffe der Faserjahre, Akzeptanzkonzentration, Akzeptanzschwelle, Toleranzkonzentration und Toleranzschwelle festgelegt.Das sind eine ganze Menge Begriffe, die man zunächst nicht automatisch auch begreift.

Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Zahlen, die man für diese Festlegung benötigt, aus Erfahrungswerten von asbestbedingten Erkrankungen in der Vergangenheit, Tierexperimenten sowie Krebserkrankungen aufgrund der Exposition anderer Gefahrstoffe gewonnen und diese kombiniert hat.

Die Akzeptanz- und Toleranzwerte sind in der TRGS 910 “Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen” festgelegt und genau beschrieben.

Faserjahre

Die Unfallkassen verlangen 25 Faserjahre durch ausschließlich berufliche Exposition, damit sie eine asbestbedingte Erkrankung als Berufserkrankung anerkennen – außer bei der Erkrankung an einem Mesotheliom.

Dabei entspricht ein Faserjahr der Exposition durch 1 Million Fasern pro m3 Raumluft bei einer Atemrate von 10 m3 pro Tag (in 8 Stunden) an 240 Tagen im Jahr. Man hätte demnach in einem Jahr 2,4 Milliarden Fasern eingeatmet. Zusätzlich wurde die Dauer des Berufslebens mit 40 Jahren festgelegt.

Einatembarer Staub

Nicht alle Fasern gelangen dabei sofort bis in die kleinsten Lungenbläschen vor, weil nicht alle Fasern gleich groß, bzw. besser: Gleich klein sind. Ein Teil ist zu groß und kommt nicht in den unteren Atemwegen an, ein anderer Teil ist zu klein und wird – wie der Rauch von Zigaretten auch – wieder ausgeatmet. Nur: Die Fasern mit “idealer” Geometrie kann der Körper, sind sie einmal dort angekommen, nicht mehr ohne Weiteres herausschaffen.

Alveolengängige Fraktion nach DIN EN 481 © Stefan Pohl, Wikimedia Commons

Die Grafik zeigt auf der unteren Achse die Partikelgröße in µm und auf der senkrechten Achse die Gesamtfraktion aller luftgetragenen Partikel in %.

Was kann man aus diesem Diagramm ablesen?

Die einatembare “Konvention” (violette Linie): Nun ist natürlich sehr viel “einatembar”. Was uns interessiert, ob die Partikel in der Lunge ankommen. Hier sind alle Partikel gemeint, die man einatmen kann und die bis in die oberen Lungenwege gelangen.

Die Prozentzahl aller einatembarer Partikel nimmt demnach mit zunehmender Partikelgröße ab. Partikel mit einer Größe von 20 µm sind “nur noch” zu 80% einatembar. Die Linie verläuft nahezu linear. Denkt man die Linie weiter, so wären nur noch 60% der Partikel mit einer Größe von 40µm einatembar, 40% ab einer Größe von 60µm, 20% bei 80µm und schließlich weniger als 10% bei 100µm.

Die “Thorakale Konvention” (grüne Linie): Dies sind die mittleren Atemwege des Thorax, in dem sich die Lungenwege beginnen, sich stark zu verzweigen, aber noch nicht die tiefen Lungenregionen mit den Lungenbläschen. Partikel mit einer Größe von 15µm erreichen die feinen Verzweigungen der Lunge nicht.

Die alveolengängige Konvention (blaue Linie): Das ist der Teil der Lunge, der als kritisch bezeichnet wird. Hier sind die Lungenbläschen, die Alveolen. Sie sind geformt wie kleine tropfenförmige Flaschen mit einem engen Hals. Dort gelangt der Sauerstoff ins Blut – entsprechend dünn ist die zellschicht zwischen Blutbahn und “Außenwelt”.

Gelangen die faserförmigen oder nadeligen Partikel hier hinein, sind sie gefangen wie in einer Fischreuse. Es hängt bei nadeligen Partikeln auch von der Orientierung im Luftstrom ab, ob sie hineingelangen (so wie Fische auch: also längs und nicht quer), aber die, die es schaffen, kommen nicht mehr raus – auch beim Ausatmen.

Stellen sie sich im Bläschen quer, können sie durch die ständige Bewegung der Lunge (Ausdehnen, Zusammnziehen) vielleicht ins Gewebe eindringen. Betonung liegt aber bei “können”. Das muss nicht so sein.

Wichtig ist: Nach diesem Diagramm erreichen nur noch Partikel, die kleiner als 10µm groß sind diese Regionen. Die ideale Fasergeometrie kann man an der steilen Kurve ablesen: das sind Partikel zwischen 2µm und 6 µm.

Leider zu wenig berücksichtigt

Es hängt also von der Partikelgrößenverteilung ab, welcher Anteil der freigesetzten Asbestfasern in den tiefen Lungenregioen ankommen kann. Die Partikelgröße hängt vom Ausgangsprodukt ab und von der Art der Bearbeitung. Wir reden also vom Asbest-Feinstaub.

Bei sämtlichen Betrachtungen der Risiken, wo der Begriff Faserkonzentration fällt, ist diese Partikelgrößenverteilung nicht brücksichtigt.

Partikelgrößenverteilung:

Wenn Sie vom Boden Sand oder Kies aufheben und alle einzelnen Körner nach der Größe (innerhalb eines Größenbereichs) sortieren und danach die einzelnen Körner in einem Größenbereich zählen, erhalten Sie eine sogegannte Korngrößenverteilung. In der Natur sind diese Körner oder Partikel oft “Log-Normalverteilt”. Auf einer lorarithmischen Skala (auf einer linearenSkala würde man nicht alle Größen unterkriegen) hätte man links bei den feinsten Partikeln einen steilen Anstieg und rechts eine flach abfallende Flanke. Das bedeutet eine hohe Anzahl feiner Partikel und eine geringen Anzahl großer Partikel.

 

Krebsrisiko

Aufgrund oben genannter Forschung wurde mit einem Faserjahr, also einer Dosis von 2,4 Milliarden Fasern ein zusätzliches Krebsrisiko von 1:1.000 ermittelt und festgelegt. Das bedeutet, wenn man ein Jahr lang dieser Faserkonzentration von 1 Million Fasern / m3 8 Stunden täglich an 240 Tagen ausgesetzt war, ist die zusätzliche Wahrscheinlichkeit, daran an Krebs zu erkranken 1:1.000 bzw. eine von 1.000 Personen (die diesen Bedingungen ausgesetzt waren) erkrankt an Krebs. Zusätzlich deshalb, weil noch viele andere Faktoren Krebs auslösen können, z.B. das Rauchen. Wenn Sie rauchen oder geraucht haben, multipliziert sich das Risiko ungefähr um den Faktor 2 bis 10 – nicht nur bei Asbestexposition!

Diese Beziehung ist die Grundlage für die Ermittlung des Risikos, an Krebs zu erkranken und der Berechnung der Faserjahre.

Akzeptanzkonzentration

Gleichzeitig werden Grenzwerte beim Umgang mit Asebst benötigt und wann welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die untere Schwelle, bis zu der jemand, der mit Asbest arbeitet (also berufsbedingt), keine Schutzmaßnahmen benötigt, heißt Akzeptanzschwelle oder Akzeptanzrisiko.

Warum Akzeptanz? Weil damit eine akzeptables Risiko verknüpft ist, an Krebs zu erkranken. Das heißt auf deutsch: Wieviele Krebsfälle (pro soundsoviel) nimmt man in Kauf?

Akzeptanzschwelle

Das Akzeptanzrisiko bzw. die Akzeptanzschwelle wurde auf 4:10.000 festgelegt. Wie kommt man darauf? Zunächst hat man die Faserkonzentration auf 10.000 Fasern pro m3 Raumluft festgelegt. Wenn man davon ausgeht, dass man sein ganzes Berufsleben lang mit dieser Belastung jeden Tag zu tun hat, und das Risiko eines Faserjahres 1:1.000 entspricht, ergibt sich rechnerisch bei einer Belastung von 10.000 Fasern über 40 Jahre ein Risiko von 4:10.000 ( = 1:2 500) – und das gilt als hinnehmbar.

In der TRGS 910 ist seit der Aktualisierung im Jahr 2008 vorgesehen, das Akzeptanzrisiko auf eine Faserkonzentration von 1.000 Fasern und das damit verbundene Risiko ab spätestens 2018 auf 4:100.000 (= 1:25 000) zu verringern.

Im Mai 2021 hat der Ausschuss für Gefahrstoffe bekannt gegeben, dass die TRGS 910 bis zum Frühjahr 2022 überarbeitet werden soll und mit der Veröffentlichung dann auch die Akzeptanzkonzentration auf 1.000 Fasern (entspricht Akzeptanzrisiko von 4:100.000 bzw. 1:25.000) verringert werden soll.

Informationen des AGS zur Absenkung der Akzeptanzkonzentration gemäß TRGS 910 im Jahr 2018

Toleranzkonzentration / Toleranzschwelle

Bis zu einer Faserkonzentration von 100.000 Fasern / m3 und einem damit verbundenen Risiko von 4:1.000 (= 1:250)  (Toleranzschwelle) gilt das Risiko als tolerabel. Man nimmt also 4 von 1.000 an Krebs erkrankten Personen als tolerierbar in Kauf. Oberhalb dieser Zahl bzw. dieser Faserkonzentration wird die Belastung nicht mehr toleriert. Das bedeutet, dass Arbeitsschutzmaßnahmen so ausgelegt sein müssen, dass bei der Arbeit mit Asbest die Toleranzkonzentration bzw. das Toleranzrisiko nicht überschritten werden kann.

Wenn Sie selbst einmal ausrechnen wollen, wie hoch das Risiko wäre, wenn Sie über eine bestimmte Zeit einer bestimmten Faserkonzentration ausgesetzt wären (oder waren), können Sie den folgenden Expositions-Risiko-Rechner verwenden. Dafür sollte eine realistische Faserkonzentration bekannt sein.

Achtung! Verwenden Sie den Rechner nicht aus einem Gefühl der Panik oder Angst heraus, wenn Sie Kontakt mit Asbest hatten und nicht über Messergebnisse einer Raumluftmessung verfügen! Der Rechner ist nicht dazu gedacht oder geeignet ein konkretes Krebsrisiko zu berechnen! Er soll lediglich einen Eindruck der Größenordnungen Faserzahl, Expositionsdauer und hypothetisches Risiko vermitteln.

Im Expositions-Risiko-Rechner © werden die derzeit gültigen Konzentrationen verwendet.

Krank durch Asbest

Wundermaterial Asbest?

Asbestanzug für Stahlarbeiter in der DASA Ausstellung Dortmund © KRW, Lizenz CC-BY-SA 3.0

Die ehemals hochgelobten Eigenschaften von Asbest liegen auf der Hand: Nahezu unendliche (nach menschlichen Maßstäben) chemische Beständigkeit, hoch-feuerfest, lange, hauchdünne Fasern, die sich leicht weben und zu Textilien verarbeiten lassen und die hohe kostengünstige Verfügbarkeit haben dieses Material so beliebt gemacht. Und nicht nur das: Es war ein unglaublich profitabler Markt.

Diese – aus damaliger Sicht – großartigen Eigenschaften ließen sich über viele Jahrzehnte hinweg beobachten, messen, nachweisen. Dass Asbest die Ursache für viele Krebserkrankungen sein soll, dagegen nicht oder nur sehr schwer. Krebserkrankungen können schließlich viele Ursachen haben wie z.B. andere Umweltgifte, Rauchen, Alkohol, Kohlestaub, etc. Also tat man sich angesichts des wirtschaftlichen Erfolges von Asbestprodukten sehr schwer damit, seine Gefährlichkeit anzuerkennen.

Warum ist aber Asbest so gefährlich? Und wie gefährlich ist es für uns heute? Das erfahren Sie auf den folgenden Seiten. Beachten Sie beim Lesen aber bitte, dass die folgenden Schilderungen ausschließlich pysikalische und biologische Prozesse erläutern und völlig unabhängig von einem eventuellen Risiko betrachtet werden müssen.

Fast 3000 Jahre – Eine lange Karriere

Asbest hat eine knapp 3000-jährige Geschichte hinter sich, die längste Zeit davon sogar ziemlich erfolgreich. Viele Jahrzehnte galt Asbest als Wunderstoff wegen seiner vielfältigen und durchaus nützlichen und hochgelobten Eigenschaften. Asbest ist:

  • feuerfest,
  • ein ausgezeichnetes Hitzeschild,
  • beständig gegen viele Chemikalien,
  • leicht zu verarbeiten (unter anderem zu Textilien)
  • nahezu unbegrenzt verfügbar und
  • kostengünstig.

Wussten Sie, dass…

Asbestos alt-griechisch ist und  soviel wie unvergänglich bedeutet? Das griechische Wort für Asbest ist hingegen Amiantos. Im Neu-Griechischen bedeutet Asbestos allerdings schlicht Kalkstein oder auch “gebrannter Kalk”, was geologisch etwas irreführend ist.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kennt man bereits die tödlichen Gefahren wie Asbestose, Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs, Mesotheliom (Rippenfellkarzinom). Letzteres wird nahezu ausschließlich durch Asbest ausgelöst und verläuft in über 90 % der Fälle tödlich.

1943 wurde (mitten im 2. Weltkrieg) Lungenkrebs infolge Asbestexposition als Berufskrankheit anerkannt. Angesichts der “Begleitumstände” fast schon zynisch. Dennoch hat es bis 2005 gedauert, bis die Herstellung und Verwendung von Asbest in Europa verboten wurde. Quebec, Kanada, einer der weltweit größten Produzenten des Rohstoffes, hat die Förderung und den Export von Asbest erst 2012 verboten.

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ca. 1000 bis ca. 200 vor Christus
ab 1820
1878
1879
1881
1900
1912
1920
1929
1939
1942
1943
1965
1969
1970
1971
1973
1979
1989
1990
1993
1999
2005
2008
2012
2018
2020

ca. 1000 bis ca. 200 vor Christus

Älteste bekannte Erwähnungen

Es ist bekannt, dass bereits die alten Römer und die alten Griechen Erfahrung mit Asbest hatten. Sie waren sogar bereits in der Lage und hatten das Wissen und das Geschick, Asbestfasern zu Gewebe zu verarbeiten, um daraus Leichentücher, Tischtücher und Taschentücher herzustellen, die im Feuer gereinigt werden konnten. Die Herstellung war jedoch so aufwändig, dass die Gewebe sehr kostbar waren und sich nur besonders wohlhabende Personen solchen Luxus leisten konnten.

Sotakos

Theophrastus © CC0 – Wikipedia

beschreibt sehr ausführlich “immerwährende Dochte, die in einer Flamme nie vergehen und deren Licht besonders hell leuchtet”. Er berichtet von Tüchern aus Zypern und Karystos, die, wenn sie verschmutzt sind, nicht mit Wasser, sondern über Feuer gehalten werden und der Schmutz verbrennt, die Tücher aber nachher noch strahlender sind als zuvor.

Theophrastos

erwähnt Asbest in einem Buch über Steine (“de lapidibus“) von Theophrastos von Eresos.

Plinius der Ältere

berichtet ebenfalls von Leichentüchern und Tischtüchern aus Asbest, die durch Feuer gereinigt werden konnten.

 

ab 1820

Illustration aus Antonio Vanossi “Der Mann im Asbest – Das Gewand aus Steinflachs (1831) © Kein Urheberrechtsschutz

Herstellung feuerfester Kleidung für Feuerwehrleute und Wärmedämmungen für Dampfmaschinen.

1831

veröffentlicht Antonio Vanossi seine Abhandlung über Experimente mit feuerfester Kleidung aus Asbest:

“Das Gewand aus Steinflachs”

1878

Label eines Anschwemmfilters zur Filterung von Trübstoffen aus Wein der Firma Seitz © Hr. Kreckel, Wallhausen

Gründung der Firma Seitz in Bad Kreuznach. Herstellung von Asbestanschwemmfiltern (Zylinderfilter) für Filterung von Trübstoffen aus Wein ab 1892.

Seitz fand heraus, dass herkömmliche Filter nicht den gewünschten Effekt brachten und den Wein dauerhaft klar machten. Ohne eine wirkliche Idee zu haben, ob und warum Asbest in der Lage sein sollte, den gewünschten Effekt zu bringen, mischte er dennoch Asbest in den Wein und filterte diese Suspension durch die vorhandenen Filter wieder ab. Das Resultat war (mehr oder weniger unerwartet) eine dauerhaft glasklare Flüssigkeit ohne Geschmacksverlust oder veränderten Geschmack. Der perfekte Weinfilter war entdeckt.

Ein sehr interessanter Artikel über die Firma und ihre “Erfindung” finden Sie hier.

https://competence.khs.com/022018-die-khs-historie/reinen-wein-eingeschenkt/

1879

Jeffery mine in 1944, Asbestos, Quebec, Canada © Bryn Pinzgauer, CC-BY-2.0

Eröffnung einer der größten Asbestminen der Welt im Ort Asbestos, Quebec, Kanada. Die Jeffrey Mine wurde bis 2011 betrieben.

1881

Historische Aktie der Frankfurter Asbestwerke AG © mit freundlicher Genehmigung durch V. Malik, Scriposale.de

Gründung der Frankfurter Asbestwerke AG. Das erste Asbestwerk in Frankfurt am Main diente dazu, importierten Asbestrohstoff industriell zu verarbeiten. Zu den Produkten gehörten bereits damals Asbestwaren als Platten, Gespinste, Gewebe etc. Der Rohstoff wurde aus Russland und China importiert.

1900

  • Ludwig Hatschek um 1900 © CC0 Wikipedia

    Der Österreicher Ludwig Hatscheck erhält als Besitzer einer Asbestzementfabrik das Patent für Eternit.

  • Asbestose wird erstmals als Krankheit beschrieben.

1912

Gründung der Fulgurit-Werke Luthe. Herstellung von Asbestzementplatten und Rohren, die “durch Blitze nicht beschädigt werden können”.

Eine der größten Fabriken für Asbestzementprodukte in Deutschland hinterließ auch nach deren Schließung im Jahr 2003 eine riesige Halde mit rund 170.000 Tonnen hochkontaminierten Asbest-Altlasten, deren Entsorgung bis heute ungeklärt ist.

Asbest – Wunstorfs gefährliches Erbe

1920

“The operator, Clémence Gagnon, watches a machine carding asbestos fibre, Johns Manville factory, Asbestos, Que., 1944 / L’opératrice, Clémence Gagnon, observe la machine à carder les fibres d’amiante, usine Johns Manville, Asbestos, Qc, 1944” by BiblioArchives / LibraryArchives is licensed under CC BY 2.0

In Deutschland bestehen bereits 59 Asbestwerke zur Aufbereitung von Asbestrohstoff.

Die Arbeiter*innen waren täglich viele Stunden ohne jeden Schutz dem Rohmaterial ausgesetzt und haben Milliarden von Fasern eingeatmet.

1929

  • Gründung der Deutsche Asbestzement AG (DAZAG) in Berlin.
  • Ludwig Hatscheck, der Gründer der Eternitwerke, beteiligte sich anfangs mit 10%.

1939

    Spritzasbest in Rolladenkasten © Bild von SC+P Sieber Cassina und Partner auf polludoc.ch unter CC-BY-SA 4.0 Lizenz

  • Im 2. Weltkrieg wurden Postsäcke, Zahnpasta, Getränkefilter, etc. aus Asbest hergestellt.
  • Spritzasbest wurde zum Brandschutz tragender Bauteile eingesetzt.
  • In dem amerikanischen Spielfilm “The Wizard of Oz (Der Zauberer von OZ)” mit Judy Garland wurde Chrysotilasbest als “falscher Schnee” (engl. “Fake snow”) eingesetzt. Die Schauspieler atmeten hohe Konzentrationen ein.

1942

In einem beeindruckenden Werbefilm wird die Entstehung von Asbest, dessen “wunderbare” Eigenschaften und die Herstellung von feuerfester Kleidung demonstriert.

Die Asbestproduktion nimmt rasant Fahrt auf.

Aus dem Youtube-Archiv von British Pathé (©)

1943

Lungenkarzinom durch Asbestfaser © Ospedale S. Polo – Monfalcone (IT) – CC-BY-SA 3.0

Lungenkrebs infolge von Asbestbelastung wurde erstmals als Berufskrankheit anerkannt.

1965

Asbest (Chrysotil) Rohmaterial

Import von Asbest erreicht mit 170000 t pro Jahr seinen Höhepunkt. Zwischen 1950 und 1990 wurden rund 4,35 Mio Tonnen allein nach Westdeutschland als Rohstoff eingeführt.

1969

Spritzasbest unter Betondecke © Bild auf polludoc.ch unter CC-BY-SA 4.0 Lizenz

Aufgrund der zunehmenden Zahl von Erkrankungen und dem Rückgang des Verbrauchs wird in der DDR Spritzasbest verboten.

1970

Wasserrohr aus Asbestzement © Ural66 Lizenz CC0 gemeinfrei

In Deutschland wird Asbest offiziell als krebserzeugend eingestuft. Bis Ende der 60-er Jahre wurden in Westdeutschland rund 30000 km Trinkwasserrohre aus Asbestzement verlegt.

1971

Asbest im Babypuder

Im Babypuder des Herstellers Johnson & Johnson wird durch interne Kontrollen immer wieder Asbest nachgewiesen (zuletzt im Jahr 2000), aber nie an die Behörden gemeldet.

1973

Bis 1976 Errichtung des Palastes der Republik in Ost-Berlin.

ADN-ZB/Junge-24.4.86 Berlin: Der Palast der Republik an der Spreeseite des Marx-Engels-Platzes gehört zu den imposanten Wahrzeichen des Berliner Stadtzentrums. Das von namhaften Architekten der DDR entworfene, 180 Meter lange und 85 Meter breite Gebäude wurde am 25. April 1976 nach 32-monatiger Bauzeit übergeben. Im Palast der Republik finden alle fünf Jahre die Parteitage der SED statt. Die Volkskammer der DDR hat im Palast ihren Sitz. Seit seiner Eröffnung bietet das Haus am Marx-Engels-Platz vielfältige Möglichkeiten der Geselligkeit, der Kultur und Bildung. Es beherbergt das “Theater im Palast” (Tip), zeitgenössische Malerei der DDR, einen Jugendtreff, ein Bowlingzentrum und mehrere Gaststätten.

1979

Steve Mc Queen © Ryangrigg Wikipedia CC0

  • Verbot von Spritzasbest in Westdeutschland.

  • Asbest ist bisher in über 3000 Produkten enthalten.

  • Der amerikanische Schauspieler Steve McQueen erkrankt an Bauchfellkrebs (Mesotheliom). Er war starker Raucher und während seiner Dienstzeit bei der US Marine lange Zeit Asbest auf Schiffen ausgesetzt. Er starb ein Jahr später.

1989

Wasserrohr aus Asbestzement © Ural66 Lizenz CC0 gemeinfrei

Amerikanische und Kanadische Wissenschaftler stellen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Asbest im Trinkwasser und Krebserkrankungen verschiedener Organe her. Trotz dieser Erkenntnisse streiten die Bundesregierung, die Gesundheitsämter und der Verband der Faserzementindustrie jegliche Gesundheitsgefahren durch Asbest im Trinkwasser ab.

Spiegel-Artikel vom 27.02.1989
Blanker BlödsinnDas Umweltgift Asbest belastet auch das Trinkwasser. Das Gesundheitsministerium verharmlost die Gefahren.

 

1990

Generelles Verbot der Herstellung und Verwendung von Asbest in der Schweiz und Österreich. Der Schweizer Lobbyverein Arbeitskreis Asbest hatte das Verbot bzw. die Klassifizierung als Gift entgegen aller medizinischen Erkenntnisse um mehr als 9 Jahre  verzögert.

Bis Ende der 1970-er Jahre waren die Gesundheitsrisiken von Asbest fast nur unter Fachleuten ein Thema. Die Asbestlobby der Industrie sorgte dafür, dass die Gefahren lange unter dem Deckel gehalten wurden. Der «Arbeitskreis Asbest» der Zementindustrie engagierte sich mit Erfolg für die Verzögerung der Giftklassifizierung von Asbest in der Schweiz.

Auszug aus:

Asbest: Seit 30 Jahren verboten, nach wie vor aktuell– Rück- und Ausblick aus gewerkschaftlicher Sicht. Vasco Pedrina, Dario Mordasini, Christine Michel

1993

Verbot der Herstellung und Verwendung von Asbest in Deutschland.

Genauer gesagt setzt die Bundesregierung mit dem Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 162 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1986 über Sicherheit bei der Verwendung von Asbest vom 12.01.1993 das Genfer Übereinkommen der Arbeitsorganisation Sicherheit bei der Verwendung von Asbest von 1986 um.

1999

Logo der Europäischen Kommission © CC0 gemeinfrei

Die Europäische Kommission verbietet Weißasbest (weitestgehend). Die Mitgliedsstaaten haben aber noch bis 2005 Zeit, die Richtlinie umzusetzen.

Pressemitteilung der EU Kommission vom 27.07.1999

2005

Logo der Europäischen Kommission © CC0 gemeinfrei

Ein EU-weites Verbot der Herstellung und Verwendung von asbesthaltigen Produkten tritt in Kraft. Das generelle Verbot aller 5 Amphibol-Asbestarten und die Einschränkung der Verwendung von Chrysotil-Asbest war bereits 1999 von der EU-Kommission beschlossen worden, erlaubte aber eine Frist bis 2005 für die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten.

2008

Logo der Rotterdam Convention Quelle Wikipedia

verhinderte Kanada als einzige westliche Industrienation auf der sogenannten Rotterdam-Konvention in Rom strengere Exportregeln für Asbest und eine Verpflichtung der Produzentenländer, ihre Abnehmer im Ausland vorab über die Gesundheitsrisiken zu informieren.

Ukraine, Kasachstan, Kirgisistan und besonders Russland lehnten eine Aufnahme von Asbest in Annex III (Liste der gefährlichen Chemikalien der UN) der Rotterdam Convention mit dem Argument ab, die krebserzeugende Wirkung von Chrysotil sei nicht erwiesen.

2012

Größte Asbestmine der Welt in Asbestos, Kanada © Bryn Pinzgauer CC-BY-SA 2.0

Stillegung der größten Asbestmine der Welt in dem Örtchen Asbestos, Quebec, Kanada.

2018

Talk – Rohstoff für Talkum Puder © Pelex – CC-BY-SA 3.0

Erneuter Vorwurf gegen Johnson & Johnson, seit 1971 von Asbest im Babypuder gewusst und nie Meldung an die zuständigen Behörden gemacht zu haben.

2020

Ural Asbest wirbt mit dem Konterfei Donald Trumps wegen dessen angeblichem Lob für die absolut ungefährlichen Eigenschaften von Ural Asbest.

In Russland, China, Indien und Thailand wird noch immer Asbest in unvorstellbaren Mengen abgebaut und verkauft.

In den USA darf Asbest zwar nicht mehr abgebaut, gewonnen oder importiert werden. Die Verwendung ist allerdings noch immer legal.

Die Russische Firma Ural Asbest, weltweit größter Exporteur von Chrysotilasbest, wirbt mit dem Konterfei Donald Trumps, weil er angeblich die hervorragenden und absolut ungefährlichen Eigenschaften von Ural Asbest gelobt haben soll, um die Beziehungen zwischen Russland und den USA zu verbessern. Dies ist zumindest die Darstellung des CEO von Uralasbest. Fakt ist, nachdem Kanada als Hauptlieferant von Asbest ausgefallen ist, sucht Russland nach neuen Märkten. Und da in den USA zwar die eigene Produktion von Asbest verboten wurde, nicht aber der Import, sind sie ein potentieller Abnehmer. Zweifelhaft ist jedoch, ob Donald Trump tatsächlich Uralsasbest wegen seiner tollen Eigenschaften gelobt hat.

Hier ist der Artikel der New York Times zum Thema

Chrysotil Asbest wurde noch immer nicht in die Liste Annex III der Rotterdam Convention aufgenommen, lediglich für die Aufnahme empfohlen. Dabei ist wichtig, dass diese Liste keineswegs Verbote beinhaltet, sondern lediglich, dass Exporteure die Empfänger vorab über die Gefährlichkeit informieren müssen.