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Neuer Fall eines falschen Analysberichtes

Anlass: Kindergeburtstag

Stellen Sie sich vor, Ihre Kuchen-Deko enthielte Asbest © Annika1707 auf Pixabay

Eine Kundin (die anonym bleiben möchte) hatte an einem Kindergeburtstag eine Geburtstagstorte mit einer sogenannten Sprühkerze (bzw. Eisfontäne, Eissterne) aufgetischt. Die Verpackung der Kerzen trug ein CE-Kennzeichen.

Nach dem Abbrennen der Kerze blieb auf dem Kuchen und an der Kerze ein Niederschlag (Asche) übrig. Die Kundin machte sich Sorgen und sendete eine Probe des Niederschlages an ein akkreditiertes Analyselabor mit dem Auftrag, diese per REM auf Asbest zu untersuchen.

Lesen Sie hierzu auch den folgenden Fall.

Überraschendes Ergebnis

Laut Analysebericht wurde Amphibolasbest (Tremolit) nachgewiesen. Als Nachweisbarkeitsgrenze wurde 0,1% angegeben, eine Klassifizierung in die Mengenklassen 1 bis 5 erfolgte nicht.

Ein Blick in den Analysebericht ließ jedoch Zweifel bei mir aufkommen: Die Spezifikationen für WHO-Fasern waren nicht erfüllt. Das untersuchte Partikel hatte einen Durchmesser von 10μ (erlaubt maximal 3μ) und eine Länge von rund 30μ. Das Partikel war deutlich zu groß um als Faserstaub “durchzugehen”.

Das EDX Diagramm zeigte zwar die “richtigen” Elemente an, nämlich Si, Mg und Ca. Dies sind jedoch Elemente, die in nahezu allen Silikaten typisch sind. Elemente, die jedoch ohne die passende Morphologie der Partikel im Bild, nämlich nadelige Strukturen, nicht ohne genaue Überprüfung als Amphibolasbest indentifiziert werden dürfen. Das ist schlicht fahrlässig.

Im Fall der Kundin sorgte dies für schlaflose Nächte und ein paar andere Beschwerden. Hätte sich dies um eine Analyse des Herstellers im Zuge der Qualitätssicherung gehandelt, wäre der Schaden wegen der rechtlichen und arbeitschutz-bedingten Konsequenzen beachtlich gewesen.

Das Analyselabor verbietet die Veröffentlichung der Ergebnisse – auch auszugsweise, daher können das Bild und das EDX Diagramm hier nicht präsentiert werden.

Labor räumt Fehler ein

Nach meiner Einschätzung telefonierte die Kundin mit dem Labor und schilderte die Bedenken. Dort räumte man ein, dass das Ergebnis fehlerhaft sei und die Spezifikationen der WHO-Fasergeometrie nicht efüllt sei. Das untersuchte Partikel sei in der Tat viel zu groß und hatte nicht die typische Nadelform von Amphibol-Asbest. Es handle sich definitiv nicht um Asbest.

Immerhin.

Dennoch: Die Konsequenzen fehlerhafter Analyseberichte und Gutachten können sehr üble Konsequenzen (finanzielle und gesundheitliche – wegen der psychischen Belastung) nach sich ziehen. Lesen Sie hierzu auch den folgenden Fall.

Offenbar nehmen dies viele Labore nicht wirklich ernst, bevor sie einen positiven Bericht (im negativen Sinne) herausgeben.

Die besondere Tragik

In diesem Fall wäre die besondere Tragik, dass es ein Vergnügungsprodukt ist, das aktuell im Internet bestellt werden kann. Durch das Abflammen werden viele Partikel in der Atemluft verteilt und können eingeatmet werden (oder ziehen Sie eine FFP2 Maske auf, wenn Sie Feuerwerk abbrennen oder die Wunderkerzen auf dem Kuchen anzünden?).

Da das Produkt aktuell im Handel erhältlich ist, hätten sich sowohl der Hersteller als auch der Händler strafbar gemacht, weil sie gegen REACH, CLP und Gefahrstoffrecht verstoßen hätten, indem sie Asbestprodukte herstellen, in Verkehr bringen und verwenden. Ihnen hätte eine Anzeige gedroht und die Produkte hätten unverzüglich aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

Falsche und fehlerhafte Gutachten

Leider keine Ausnahme!

Leider kein Einzelfall mehr: Es kommen mehr und mehr falsche oder fehlerhafte Gutachten, auch von akkreditierten Laboren, in Umlauf.

Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich ist aber: Wegen der strengen Gesetze und Regeln zum Umgang und Abbruch von Asbest werden immer mehr Gutachten gebraucht. Das ist inzwischen ein beachtlicher Markt, auf dem sich auch Labore tummeln, die nicht auf erfahrene Analytiker zurückgreifen können und die den Aufwand und die Komplexität der erforderlichen Analyse unterschätzen.

Die Erfahrung und die Zeit, die man sich für eine gute Analyse nimmt, sind fundamental wichtig, um die Ergebnisse so zu interpretieren, dass sie auch Sinn ergeben.

In den meisten Fällen kann ein Laie nicht überprüfen oder nachvollziehen, ob das Ergebnis Sinn ergibt oder nicht. Um so wichtiger ist es, ein Labor zu beauftragen, das über höchst qualifiziertes Personal und eine sehr gute Ausstattung verfügt. Es lohnt sich, hier unter Umständen mehr Geld zu investieren.

Was Schnelltests für zuhause können und was nicht und warum man dabei sehr vorsichtig sein sollte erfahren Sie im Blog-Beitrag.

Authentisches Fallbeispiel

Ein Unternehmen stellt einen polymerbasierten Kunstharz her, der standardmäßig mit 20% Talkum als Füllstoff versetzt wird. Zur Qualitätssicherung wird das Produkt regelmäßig mit Rasterelektronenmikoskpie untersucht. REM erlaubt nicht nur die optische Analyse mit einem Bild, sondern auch die Kontrolle der chemischen Zusammensetzung. Das Unternehmen sendet hierfür regelmäßig eine Probe an ein akkreditiertes Analyselabor.

REM und EDX Analyse © Eigentümer bleibt einvernehmlich anonym

Das offizielle Ergebnis des Gutachtens lautete: 20% Amphibol-Asbest.

Folge

Der Hersteller handelte richtigerweise sofort und stellte die Produktion ein. Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt. Einige machten sich Sorgen und suchten einen Arzt auf, weil sie befürchteten, einer Asbestexposition ausgesetzt gewesen zu sein, zumal bei der Produktion das Talkum als Schüttware beigement wird und es zur Staubentwicklung kommt.

Bei den verantwortlichen Personen (u.a. Arbeitsschutz und Qualitätssicherung) stellte sich sofort die Frage: Wie kommt auf einmal Asbest in das Produkt?

Die Wahrheit

Ich wurde daraufhin beauftragt, eine Stellungnahme zu dem Sachverhalt abzugeben und konnte den Hersteller beruhigen, dass es sich hierbei keineswegs um Asbest handelt (schon gar kein Amphibolasbest), sondern schlicht um das absichtlich beigemengte Talkum.

Warum?

  1. Das Ergebnis des Gutachtens lautete 20% Asbestanteil (bei 20% beigemengtem Talkum). Das müsste einen erfahrenen Analytiker zumindest aufmerksam machen.
  2. Auf dem REM Bild sind keine Fasern zu sehen, sondern ein Schichtsilikat von der Seite. Ein erfahrener Analytiker kann das unterscheiden.
  3. Im EDX Diagramm (chemische Zusammensetzung) ist die typische Zusammensetzung von Talkum eindeutig nachgewiesen. Ein erfahrener Analytiker und Mineraloge weiß das. Der Gegentest mit einem Amophibol-Asbest kann ausgeschlossen werden.

Doch im Detail:

Zu 2:

REM Bild der Analyse

REM Aufnahme: Muskovitkristall in Montmorillonit © Heiko Hofmann CC-BY-SA 4.0 Lizenz

In beiden Bildern erkennt man sehr gut die dünnen Schichten und Stapel eines typischen Schichtsilikates (wie ein Stapel Papier) und Talkum ist ein solches typisches Schichtsilikat. Asbestfasern bzw. Asbestnadeln sehen hingegen so aus:

Chrysotil-Fasern im REM © USGS

REM Aufnahme von Anthophyllit © USGS Lizenz CC0 (gemeinfrei)

Zu 3.

Legt man im EDX Diagramm ein Spektrum von Talk über das gemessene Spektrum der Analyse bekommt man nahezu vollständige Übereinstimmung (die Peakhöhe des Sauerstoffs kann abweichen, weil die Analytik vermutlich in einem ESEM unter Teilatmosphäre gemessen wurde und Luftsauerstoff mitgemessen wird – die eher schlechte Bildqualität deutet darauf hin). Ausschlaggebend ist aber das Peakverhältnis von Mg und Si.

EDX Analyse mit Overlay eines EDX Spektrums von Talk © Montage Heiko Hofmann

Legt man hingegen das EDX Spektrum eines typischen Amphibol Asbestes darüber (z.B. Aktinolith) ist die Übereinstimmung falsch. Mehr noch, das nötige Calcium (Ca) fehlt im EDX Diagramm der Analyse. Ein Ausschlusskriterium.

Analyse mit Overlay des EDX Spektrums von Aktinolith © Montage Heiko Hofmann

Der Analytiker hat also das absichtlich beigemengte Talkum fälschlich als Asbest identifiziert und schriftlich begutachtet.

Die Konsequenz

Der Auftraggeber hat hingegen alles richtig gemacht und schnellstmöglich für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter gesorgt.

Gelegenheit zur Nachbesserung – aber ohne Einsicht

Aufgrund meiner Stellungnahme wurde dem Analyselabor ein weiteres Aliquot derselben Probe zugesendet mit dem Auftrag dies zu analysieren. Außerdem wurden sie über meine Stellungnahme informiert. Das Ergebnis fiel diesmal negativ aus, obwohl es sich um einen Teil derselben Probe handelte.

2 weitere Gutachten von unabhängigen Laboren fielen ebenfalls negativ aus und bestätigten meine Beurteilung der Originalanalyse.

Dennoch blieb das Analyselabor bei seinem ursprünglichen Gutachten und wollte den eindeutigen Fehler nicht eingestehen. Es behauptete nach wie vor, in der ersten Analyse sei 20% Asbest nachgewiesen worden.

Aus anlytisch wissenschaftlicher Sicht ist das nicht nur grob unwissenschaftlich im Sinne von wissenschaftlichem Fehlverhalten und Verstoß gegen den wissenschaftlichen Codex, es ist glatt gelogen und auch grob fahrlässig.

Es mag sein, dass anfangs ein unerfahrener Analytiker mit der Auswertung beauftragt wurde. Doch spätestens nach der Reklamation muss sich zwangsläufig ein erfahrener Analytiker damit befasst haben. Dennoch hat das Analyselabor bzw. die Geschäftsleitung entschieden, den Fehler nicht einzuräumen. Warum? Das kann man sich sozusagen an 3 Fingern abzählen: Schadenersatz.

Fazit

Der Analytiker ist generell (zumindest moralisch) verpflichtet und hat die Verantwortung, insbesondere bei derartigen Konsequenzen, sein eigenes Ergebnis zu hinterfragen und vor allem durch das Ausschlussverfahren alle anderen möglichen Fehlerquellen auszuschließen. In so einem Fall ist das Ergebnis nur dann als korrekt anzusehen, wenn einzig Asbest als Analyseergebnis übrig bleibt. Dies wurde hier nicht geprüft – und das ist grob fahrlässig.

Das Problem ist aber auch, dass Auftraggeber auf die seriöse Arbeit und fachliche Kompetenz der Gutachter und Analytiker angewiesen sind, denn Sie beauftragen ja Experten, gerade weil sie sich selbst nicht gut genug auskennen oder über die Analytik verfügen oder das Ergebnis beurteilen können – und genau dafür bezahlt man mitunter sehr hohe Preise.

Der Schaden war jedoch angerichtet und die Folgekosten gingen in einen 6-stelligen Bereich.

 

Nachweis von Asbest

Achtung!
Sie finden im Internet inzwischen sehr viele Anbieter von Asbest-Test-Kits für zuhause und Schnelltests. Seien Sie kritisch mit Schnelltests, denn sie versprechen eine Blitzanalyse der Situation für wenig Geld und vernachlässigen dabei die Konsequenzen für Sie selbst: Denn Sie müssen die Proben selbst nehmen – ohne Hintergrundwissen. Sie könnten ohne sachkundiges Wissen und Erfahrung unbeabsichtigt Asbestfasern freisetzten – das ist aber unter Umständen verboten.  Zudem setzen sich selbst womöglich einer Gefährdung durch Asbestfasern aus! Mehr dazu in diesem Beitrag

Um besser beurteilen zu können, mit welchem Aufwand eine gute und fachmännische Asbestanalyse verbunden ist, sollten Sie diese Seite lesen.

Haben Sie bereits eine Analyse machen lassen und haben Zweifel, ob sie fachmänisch durchgeführt wurde oder plausibel ist? Schreiben Sie mir eine Nachricht oder rufen Sie mich an!

Wie man Asbest analysiert und nachweist erfahren Sie ab Seite 2