L1-3 Gesundheitsgefahren und Berufskrankheiten

Asbestanzug für Stahlarbeiter in der DASA Ausstellung Dortmund © KRW, Lizenz CC-BY-SA 3.0

Diese – aus damaliger Sicht – großartigen Eigenschaften ließen sich über viele Jahrzehnte hinweg beobachten, messen, nachweisen. Dass Asbest die Ursache für viele Krebserkrankungen sein soll, dagegen nicht oder nur sehr schwer. Krebserkrankungen können schließlich viele Ursachen haben wie z.B. andere Umweltgifte, Rauchen, Alkohol, Kohlestaub, etc. Also tat man sich angesichts des wirtschaftlichen Erfolges von Asbestprodukten sehr schwer damit, seine Gefährlichkeit anzuerkennen.

Warum ist aber Asbest so gefährlich? Und wie gefährlich ist es für uns heute? Beachten Sie bitte, dass die folgenden Schilderungen ausschließlich die biologische Wirkung von Asbest erläutern und zunächst nichts über ein Risiko, zu erkranken, aussagen.

Was genau macht Asbest so gefährlich?

Die Einzelfasern oder Nadeln der Asbestminerale haben in Längsrichtung keine starke Bindung. Sie spleißen bei mechanischer Beanspruchung immer weiter auf, bis schließlich einzelne Kristalle übrig bleiben. Diese Fasern sind dann so fein, dass sie aufgrund ihrer Größe (zehntausendmal feiner als Haare) beim Einatmen bis in die Lungenbläschen (= Alveolen) vordringen können, d.h. sie gelangen in die feinsten Verzweigungen der Lunge, also dorthin, wo Sauerstoffmoleküle aus der Luft ins Blut gelangen. Dort angekommen, können sie ins empfindliche Gewebe eindringen. Wegen ihrer chemischen Stabilität (Kristallstruktur) bleiben sie stabil und werden kaum aufgelöst und nur sehr schwer wieder aus dem Körper transportiert.

Die Betonung liegt jedoch auf können. Das heißt nicht, dass sie auch dorthin gelangen und dort bleiben. Dazu weiter unten mehr.

WHO-Fasern

Als besonders kritisch gelten Fasern, die einen Durchmesser (d) von < 3 µ haben, eine Länge (l) von mindestens 5 µ und ein Verhältnis von Länge zu Durchmesser (l : d) von mindestens 3 : 1 haben. 1 µ = 1 tausendstel Millimeter. Fasern mit diesen Spezifikationen gelten als “alveolengängig” (Alveolen = Lungenbläschen). Diese Definition der sogenannten WHO-Fasern wird auch zur Interpretation der Analyseergebnisse mit dem REM herangezogen.

d < 3 µ
l >= 5 µ
l : d > 3 : 1

Da der Körper die Fasern nicht ausscheiden kann, kapselt er sie ein – Narbengewebe entsteht. Es kann zu Entzündungen kommen und eine vernarbte Lunge kann ihre Aufgabe nicht mehr so einfach und vollständig erfüllen.

Chrysotil-Fasern im REM © USGS CC0

Die Fasern und Nadeln sind sogar so fein, dass sie bis in die Zellkerne eindringen können und dort die DNA manipulieren. Krebs kann durch die Entzündungen, das Narbengewebe und durch Zerstörung der DNA entstehen.

Das funktioniert allerdings eher bei den anderen typischen Asbestmineralen: den → Amphibolen Krokydolith (“blauer Asbest”), Grunerit (“brauner Asbest”) und einigen anderen Mineralen aus der Amphibol-Familie (Tremolit, Aktinolith, Anthophyllit). → Chrysotil, gilt als “zu flexibel” und wird von einigen “Experten” und in vielen Ländern, die vom Export profitieren, daher als “ungefährlich” eingestuft.

Krokydolith (Blausabest) © Raimond Spekking, Mineralogisches Museum Bonn, CC BY-SA 4.0

Die → Amphibole rollen sich zwar nicht auf wie Chrysotil, sie bilden aber die oben beschriebenen SiO4 Bänderstrukturen und wachsen nadelig. Es sind keine feinen Härchen aber ultrafeine, störrische Nadeln. Sie sind nicht so flexibel und biegsam wie Chrysotilfasern, dafür sind sie steifer und brechen leichter.

Eins haben sie gemeinsam: Es sind Fasern, die so fein sind, dass die feinsten nur aus wenigen Atomlagen bestehen. Die Ringe der Chrysotil-Schnecken kann man leicht zählen – und jede Schicht ist nur wenige millionstel Millimeter dick.

Darüber hinaus hat Asbest keine sogenannte Wirkungsschwelle: Es gibt keine gesundheitlich unbedenkliche oder ungefährliche Dosis. Streng genommen kann bereits eine einzelne Faser ins Lungengewebe eindringen und dort Krebs verursachen. Aus diesem Grund gibt es auch aus medizinischer Sicht keine Grenzwerte.

Asbestose und Staublunge

“Asbestosis – Asbestos bodies” © Pulmonary Pathology licensed under CC BY-SA 2.0

Staublunge und Asbestose sind recht “kurzfristige” Erkrankungen, die bei einer extrem hohen Staub- oder Faserkonzentration in der Atemluft auftreten. Dennoch müssen die Fasern über viele Jahre hinweg in sehr hohen Konzentrationen eingeatmet werden. Wir sprechen von Milliarden Partikeln pro m3 Atemluft über viele Stunden täglich – und das über viele Jahre. Die Unfallkassen verwenden den Begriff der Faserjahre.

Asbestose und Staublunge müssen nicht unweigerlich zu Krebserkrankungen führen. Dafür bleibt aber eventuell gar keine Zeit: Die Lunge wird praktisch mit Mineralstaub aufgefüllt. Beim Asbest kommt die Vernarbung des Gewebes hinzu, weil die Fasern aufgrund ihrer nadeligen Struktur im Gegensatz zu anderen Mineralkörnern ins Gewebe eindringen können und wie Spieße darin stecken bleiben und der Körper daraufhin (möglicherweise erfolglos) versucht, die Fasern abzustoßen. Gelingt den dafür zuständigen Fresszellen dies nicht, bildet sich Narbengewebe, das sich entzünden kann.

Bei anderen Mineralen wie Kalk kann eine Art Zement entstehen, bei silikatischem Gesteinsstaub setzen sich einfach die feinsten Lungenbläschen zu.

Das Ergebnis ist nahezu dasselbe: Durch das Auffüllen der Lunge mit Staub oder die durch Asbestfasern verursachte Vernarbung sorgen dafür, dass die Lungenfunktion so stark eingeschränkt wird, dass der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff bekommt. Typische Symptome sind Atemnot, Kurzatmigkeit, Rasseln der Lunge, Husten (mit Auswurf). Schlimmstenfalls kann der Körper ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr nicht mehr alleine überleben.

Asbestose geschädigtes Lungengewebe ist irreparabel. Die Latenzzeit beträgt ca. 10 bis 20 Jahre.

Lungenkrebs

Lungenkarzinom durch Asbestfaser © Ospedale S. Polo – Monfalcone (IT) – CC-BY-SA 3.0

Andere typische durch Asbest verursachte und anerkannte Erkrankungen sind Lungenkrebs und Mesotheliom, eine Krebserkrankung des Bauchfells.

Wenn die o.g. Fresszellen nicht mehr mit ihrer Aufgabe hinterherkommen, eilen weitere Fresszellen zu Hilfe – und alle gehen an den Asbestfasern zu Grunde. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit von Mutationen nicht unerheblich, weil die Asbestnadeln fein und steif genug sind, um nicht nur in das Gewebe einzudringen, sondern sogar bis zum Zellkern vordringen und die DNA schädigen können.

Aber auch hier sind hohe Konzentrationen (Millionen Fasern pro m3 Atemluft) über viele Jahre notwendig, um solche Erkrankungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu verursachen. Die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken, liegt bei Rauchern nochmals deutlich höher (ca. Faktor 2).

Asbestose und Lungenkrebs sind prinzipiell voneinander unabhängige Erkrankungen. Lungenkrebs muss nicht zwangsläufig aus einer Asbestose hervorgehen, es ist aber wahrscheinlich. Dies allerdings nach einer deutlich längeren Latenzzeit von rund 25 bis 30 Jahren.

Mesotheliom

Das Mesotheliom ist eine Krebserkrankung des Rippenfells bzw. des Lungenfells. Da die Asbestfasern, durch die ständige Bewegung der Atemmuskulatur und des Lungengewebes angetrieben, das Lungengewebe sogar durchdringen können, gelangen sie möglicherweise in den Bauchraum zwischen Lunge und Rippen. Am Lungen- bzw. Rippenfell können sich verkalkende Ablagerungen bilden, die entarten und zentimeterdick werden können. Dieses Tumorgewebe produziert große Mengen an Flüssigkeit, das die Lunge zusammendrücken kann und ihre Funktion so stark beeinträchtigt, dass nicht mehr genügend Sauerstoff aufgenommen werden kann. Auch hier können Atemnot, Schmerzen im Brustkorb, Husten mit Auswurf, hohes Fieber und sogenannte Rippenfellergüsse auftreten.

Auch diese Krebserkrankung ist inoperabel und führt in über 90% der Fälle zum Tod. Die Latenzzeit ist mit durchschnittlich 30 bis 40 Jahren nochmals deutlich länger als bei den anderen Krebsarten. Da das Pleuramesotheliom fast ausschließlich durch Asbestfasern ausgelöst wird, ist bei dieser Erkrankung die Anerkennung als Berufserkrankung nicht abhängig von der Anzahl der Faserjahre.

Diagnose

Die ersten Symptome einer Erkrankung treten also möglicherweise erst sehr viele Jahre nach der Exposition auf. Allerdings kann man im Röntgenbild oder Computertomogramm nur das veränderte Gewegbe oder große Mengen an Staub- oder Asbestansammlungen erkennen. Einzelne oder nur wenige Fasern sind nicht nachweisbar, nicht nach der Exposition und erst recht nicht nach so langer Zeit.

Das macht die Diagnose sehr schwer, denn es kann nicht oder kaum nachvollzogen werden, ob nun Asbest für eine Krebserkrankung verantwortlich ist oder vielleicht eine ganze Reihe anderer Ursachen.

Anerkennung von asbestbedingtem Lungenkrebs als Berufserkrankung

Die Unfallkassen erkennen Asbestose und Lungenkrebs nur dann als Berufserkrankung an, wenn der / die Betroffene 25 Faserjahre nachweisen kann.

Ein Faserjahr ist die Belastung durch mehr als 1 Million Fasern pro m3 Atemluft über 8 Stunden täglich bei mindestens 240 Arbeitstagen pro Jahr.

Bei einer Atemrate von rund 10m3 pro Tag würde man bei 240 Tagen pro Jahr rund 2,4 Milliarden Fasern pro Jahr eingeatmet haben. Der Ausschuss für Gefahrstoffe hat diese kumulative Konzentration (Die Anzahl der Fasern in der Lunge summiert sich permanent auf, sie nimmt nie ab) mit einer Wahrscheinlichkeit bzw. einem zusätzlichen Krebsrisiko von 1:1000 verknüpft. D.h., eine von 1000 Personen, die diese Bedingungen (1 Faserjahr) erfüllen, erkranken an Krebs. Bei 10 Faserjahren wäre das Risiko 1:100 und bei 40 Jahren (Berufsleben) 1:25.

Clémence Gagnon beobachtet eine Maschine, die Asbestfasern kardiert. Johns Manville, Asbestos, Quebec, 1944, CC BY 2.0

Es gibt also keine “Garantie”, dass man erkrankt, lediglich eine Wahrscheinlichkeit.

Bei Personen, die damals in der Asbestindustrie gearbeitet haben, waren täglich ungeschützt Faserkonzentrationen ausgesetzt, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann.

Bei Maschinen wie auf der Abbildung rechts wurden nicht Tausende, auch nicht Millionen sondern Milliarden von Fasern / m3 Luft freigesetzt, die arbeitstäglich über viele Stunden eingeatmet wurden. Man hat sich innerhalb eines Berufslebens praktisch die Lungen mit Asbeststaub aufgefüllt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei dieser Belastung auch Fasern ins Gewebe eindringen und letztlich zu Krebs und schlimmstenfalls zum Tod führten, war sehr hoch.

Sind oder waren Sie Raucher?

Was die Anerkennung zusätzlich erschwert ist natürlich auch, dass die Kassen andere Ursachen zuvor ausschließen: Falls Sie z.B. Raucher waren oder sind, wird die Unfallkasse zunächst das Rauchen als Ursache für Lungenkrebs verantwortlich machen. Der Nachweis, dass Asbest die tatsächliche Ursache ist, wird zusätzlich erschwert:

Selbst wenn Raucher über viele Jahre durch die Arbeit in der Asbestindustrie signifikant hohen Konzentrationen ausgesetzt waren (Millionen Fasern täglich), könnte die Auslegung der Unfallkasse immer noch lauten, es wäre eher zu keiner Krebserkrankung gekommen, wenn die betroffene Person nicht geraucht hätte. Und Sie hätte nicht einmal unrecht: Das Risiko, dass Raucher an asbestbedingtem Lungenkrebs erkranken ist rund 2 mal höher als bei Nichtrauchern. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass Rauchen alleine (bei ca. 60 Packungsjahren) das Risiko, an Krebs zu erkranken gegenüber Nie-Rauchern bis zu 100 mal höher liegt. Dies lässt den Schluss zu, dass Rauchen das größere Risiko birgt.

Yumm, lecker! Der Rest von dem, was nun in Ihrer Lunge ist! © Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Es ist zwar nicht so, dass Asbest mit den ohnehin schädlichen Inhaltsstoffen von verbrennendem Tabak eine Art Allianz eingeht und sich dadurch verstärkt. Rauchen schwächt aber die Selbstreinigungs- und Heilungsfunktion der Lunge stark, so dass andere Giftstoffe und auch Asbestfasern praktisch keine natürliche Barriere mehr “vorfinden” und somit leichtes Spiel haben. Raucher leiden viel häufiger und stärker als Nichraucher an Lungenerkrankungen, unabhängig davon, was man sich einfängt bzw. einatmet.

Pleuramesotheliom

Beim Mesotheliom ist die Anerkennung leichter, denn diese Krebsart wird fast ausschließlich durch Asbestfasern verursacht.

Heutige Situation

Da auch heute (leider) noch immer mit Asbest gearbeitet werden muss, z.B. im Rahmen von ASI Arbeiten (deshalb sind Sie schließlich hier in diesem Kurs), und sich eine Situation wie damals nicht wiederholen darf, sind die Grenzwerte im Umgang mit Asbest und die Schutzvorschriften so streng.

Wie streng genau, erfahren Sie in der Lektion über die Rechtsvorschriften.